Die Schweizerinnen auf ihrem Weg zur Stimme

Eine retrospektive Perspektive zum 50.-ten Jahrestag der Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz.

Als ich mir darüber Gedanken mache, was ich zu diesem wichtigen Thema der Schweizer Geschichte schreiben möchte, gerät mir das Buch von Franziska Rogger, der Schweizer Historikerin und Feministin, in die Hände. Es ist eine chronologische Sammlung der von Marthe Gosteli[1], der bekannten Schweizer Frauenrechtlerin, archivierten Ereignisse auf dem harzigen Wege der Schweizer Frauen zu ihren Rechten. Bewusst wähle ich hierzu die Mehrzahl, denn das Frauenstimmrecht war und bleibt das leitende, doch nicht das einzige Recht, das Frauen gefordert und noch immer zu verteidigen haben. Ganze 141 Seiten lese ich darin, eh ich zum Kapitel gelange, wo Marthe Gosteli vom schicksalhaften Sonntag berichtet, an dem der harterkämpfte Sieg verkündet wurde – die offizielle Erlangung des Stimmrechts für die Schweizer Frauen am 7. Februar 1971. «Die Schweizermänner hatten mit zwei Drittel der Stimmen und überraschenden 15.5 Standesstimmen dem Frauenstimm- und -wahlrecht zugestimmt. Bloss 6.5 Kantone sagten Nein, wobei auch hier die städtischen bzw. die Hauptorte wie Herisau, Frauenfeld, Sarnen ein Ja eingelegt haben.»[2]

Ich lese über die Anfänge der Idee, als 1929 eine nationale Petition, die in Ergänzung der schweizerischen Bundesverfassung das volle Stimm- und Wahlrecht verlangte. Ganz dessen ungeachtet, dass sich in der Schweiz ab 1867 die allerersten Studentinnen, Doktorinnen und Professorinnen fanden, blieb das Land hinsichtlich der politischen Gleichberechtigung konservativ. Es mussten einige Anläufe genommen und abgeschmettert werden, bevor der hartnäckige Kampf der Schweizer Aktivistinnen 1971 mit Erfolg gekrönt wurde.

Was mich beim Lesen immer wieder aus der Fassung bringt, ist nicht die Standhaftigkeit der ausschliesslich männlichen Politiker und Bundesräte das Stimm- und Wahlrecht für Frauen vehement zu verhindern, indem man sämtliche Versuche es zu erlangen im Keim erstickte bzw. wortwörtlich schubladisierte («Das Material liegt im Übrigen […] in der mittleren Schublade rechts Deines Schreibtisches.»[3] schrieb 1934 der damalige FDP Bundesrat Häberlin seinem Nachfolger). Es ist eher der Widerstand «aus den eigenen Reihen», welcher die beharrliche Ignoranz der Männer stillschweigend nährte: In der stabilen Wirtschafts- und Politikwelt der Schweiz gab es für die Mehrheit der Schweizer Frauen keine Notwendigkeit ins Erwerbsleben einzusteigen, was als Voraussetzung für die Etablierung des Frauenstimmrechtes galt. Die Löhne der arbeitenden Männer reichten in der Regel für die ganze Familie, die Rollen waren geschlechtsspezifisch und bis ins 20. Jahrhundert klar aufgeteilt und so gab sich die Mehrheit der Schweizer Frauen mit der politischen Stummheit zufrieden: «[…] musste manche Stimmrechtlerin seufzend konstatieren: «D’Froue sälber si der bösischt Hemmschue für üsi Bewegig.»[4]

Umso stolzer und dankbarer macht mich die Tatsache, dass sich trotz der allgemein eher passiven Stimmung das politische Terrain zur gerecht verdienten Hälfte zu erobern, Frauen wie Gerda Stocker-Meyer, Marie Boehlen, und insbesondere Iris von Rothen mit Leidenschaft, Geduld, unermüdlichem Einsatz, viel Grips und auch List («Wir haben den Namen «das Aktionskomitee» gewählt, um den Eindruck zu vermeiden, dass Frauen bloss auf Rechten pochten. Wer aber sollte schon dagegen sein, wenn Frauen im Dorf mitarbeiteten, etwas Soziales leisteten?»[5] den Kampf «um das Volk von Brüdern mit Schwestern» vorangetrieben haben.

Am 7. Februar 2021 werden wir unsere Gläser zum 50.-ten Mal heben, um uns an diesen denkwürdigen Tag im Jahre 1971 zu erinnern und auch daran, was seither von uns Frauen erreicht wurde und noch zu erringen ist.

Deshalb interessierte mich die Frage, was denn seither in Bezug auf Frauenrechte erreicht wurde. Ich habe herausgefunden, dass der Frauenanteil im Nationalrat heute 42% beträgt. Schaffen wir noch 8% bis zum gerechten 50/50? Bestimmt!

Denn das 1972 schweizweit ratifizierte internationale Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte bei gleichwertiger Arbeit war bestimmt der Anfang und die Basis für das Gleichstellungsgesetz in 1996, dessen Anpassung des Artikels 13 in 2020 nun die Analyse der Einhaltung der Lohngleichheit in Betrieben von mehr als 100 Mitarbeitenden fordert.

Die 1976 abgegebene Erklärung zum Kindesrecht, welcher 1981 der Kündigungsschutz während der Schwangerschaft und die Befürwortung des Mutterschaftsurlaubs folgten, wurde bestimmt die Basis für die 2004 eingeführte Mutterschaftsversicherung für erwerbstätige Mütter. Als grosses Zeichen der richtigen Wegweisung zur Gleichberechtigung wurde die Annahme der Initiative für den Vaterschaftsurlaub in 2020, welche mich persönlich zum weiteren Einsatz auf dem Gebiet der Gleichverteilung von Pflichten und Rechten zwischen Mann und Frau motiviert.

Es ist noch zu früh uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Es gibt noch viel zu tun. Insbesondere in Hinsicht auf die nächste grosse Aufgabe, welche von den FDP Frauen gleich am 7. Februar 2021 lanciert wird: Der Start für die Initiative zur Einzelbesteuerung von Mann und Frau. Der Kampf geht weiter, liebe Schweizer Frauen. Doch wir wissen um unseren Sieg!

Julia Dietiker
Sektionspräsidentin FDP Ostermundigen

[1] Franziska Rogger, «Gebt den Schweizerinnen ihre Geschichte!», Marthe Gosteli, ihr Archiv und der übersehene Kampf ums Frauenstimmrecht, 2015 Verlag NZZ, Zürich.

[2] Dito, S. 142.

[3] Dito, S. 25-26.

[4] Dito, S. 33.

[5] Dito, S. 35.